Immer wieder begegne ich ähnlichen Situationen. Meinungen und Ansichten, die von sich gleichender Energie geformt sind. Und ich begegne zeitgleich ähnlichen darauf folgenden Reaktionen. Also quasi einem Regelkreis. Einem Regelkreis dem ich mich versuche zu entziehen. Denn er entsteht durch den Wunsch auf Besserung, auf Erfolg, auf den Erhalt des Optimums. Dabei vergessen geht der Umstand, dass wir nicht in allen Lebenslage dazu befähigt sind, die Dinge nach unseren Wünschen zu lenken. Dass die Wichtigkeit des Annehmens eine grosse Bedeutung hat. Dass wir im Fluss der Dinge leben, und nicht wir das Leben fliessbar machen.
Seltsame Gedanken, wirre Worte. Ja, das kann schon mal geschehen wenn ich anfange mit mir selber zu philosophieren. Denn nichts anderes sind meine Texte. Es sind Momente, in denen ich mich selber als Gesprächs- und Gedankenpartner habe. In denen ich mich kritisch mit meiner Sicht, aber auch mit der Sicht der Umwelt und der Gesellschaft auseinandersetze.
Und dazu gehören auch die vorab erwähnten Situationen, denen ich begegne. Sie lösen in mir Gedanken aus. Lassen mich kritisch begutachten, warum etwas so ist und wieso etwas nicht wird. Ich schrieb vom „Wunsch auf Besserung, auf Erfolg, auf den Erhalt des Optimums“. Und von einem Regelkreis. Ich nenne es so, auch wenn es wohl im genauen Wortsinne weniger ein „geschlossenes System“ ist – eher eine Aktion-Reaktion-Gewohnheit der Gesellschaft. Unsere Gesellschaft hat Schmerzen, zum Beispiel durch saures Aufstossen. Der weitbekannte Reflux. Es ist unangenehm also fordern wir nach Besserung. Die gibt es auch, nämlich in Form von Säureblockern – oder Protonenpumpenhemmern, wie sie auch genannt werden. Die Gesellschaft schluckt die Pille – der Wunsch geht in Erfüllung. Unsere Gesellschaft ist müde, zum Beispiel durch Schlaflosigkeit oder Schlaf, der die Müdigkeit nicht bezwingt. Es ist unangenehm also fordern wir nach Besserung. Die gibt es auch, nämlich in Form von Schlaftabletten. Geschluckt – verbessert.
Wir machen das schon richtig, denkt sich die Gesellschaft. Es läuft was aus dem Ruder, wir lassen uns was verschreiben und prompt geht es besser. Seit das allgemeine Schmerzmittel auf dem Markt ist, haben wir für jedes Wehwehchen eine Tablette. Heute gar wahlweise als Pille, Kapsel oder Brausetablette. Hurra. Hinzu kommen die Reaktionen und Verhaltensweisen von aussen, die uns darin bestärken, im Zustand des Optimums zu bleiben. Krank werden? Keine Zeit, ich verliere einen Auftrag an den Konkurrenten. Sich matt und ausgelaugt fühlen? Keine Zeit, das soziale Netzwerk ruft nach Energie und Attraktivität. Sich um jemanden kümmern müssen? Keine Zeit, der Arbeitsmarkt duldet keine Unproduktivität.
Selbst im engeren Kreis treffen wir oft genau auf solche Situationen. Sie sind subtil und weniger bedrohlich. Aber auch sie unterstützen den Gedanken vom Erhalt des Optimums. „Kommt schon wieder“. „Bald geht’s wieder bergauf“. „Kopf hoch“. „Nimm das, das hilft“. „Das renkt sich schon wieder ein“. Und wenn nicht? Und wenn es sich für den oder die Betroffene eben gerade nicht mehr einrenkt? Wenn es dauert. Wenn es unsicher bleibt. Wenn es aufwühlt, hoffnungslos und betrübt macht. Ja dann passiert es oft, dass keiner mehr weiss, was zu sagen es gilt und was hilft. Weder der Mediziner, noch der beste Freund, noch die Nachbarin. Denn keiner hat mehr Zeit und Rat. Man wird zu anstrengend. Man wird nicht besser und bleibt nicht gut.
Passt man nicht mehr in’s Schema krank-sein/Pillen-schlucken/gesund-werden stösst man an Grenzen. An die eigenen und an die der anderen. Und genau diese Situationen treffe ich immer öfters an. So viel an Wissen und Technik haben wir uns angeeignet und werden wir uns noch aneignen – aber die Wichtigkeit des Annehmens haben wir dadurch verloren. Wir halten den Zustand des Stagnierens oft nicht mehr aus. Gewinn muss her – sei es beruflich, sozial oder gesundheitlich. Wir haben etwas, dass uns auf unserer erfolgreichen Bahn behindert. Es muss weg. Jetzt, schnell und ohne Umweg.
Die Wichtigkeit des Annehmens – sie würde uns in vielen Momenten Unterstützung anbieten. Wir würden uns nicht für Dinge bestrafen, die uns zu langsamerem Tempo berufen oder gar zwingen. Wir würden zwar immer noch nach dem Optimum streben, aber Momente der Stagnation oder des Rückschlags besser integrieren. Wir würden uns nicht dem Druck nach Produktivität und unerschöpflicher Energie beugen müssen. Wir dürften uns erlauben, eine Situation anzunehmen, weil sie so ist wie sie ist. Und wir würden sie mit Sanftheit und Achtsamkeit wieder verändern, sobald wir – unser Körper und unser Geist – dazu bereit sind.
Ich nehme an heisst nicht: ich gebe auf. Ich nehme an heisst nicht: es ist mir egal. Ich nehme an heisst nicht: ich habe keine Wahl. Ich nehme an heisst, dass ich mich nicht dafür bestrafe, was im Moment vorherrscht. Ich bekämpfe es nicht und personifiziere es nicht zum bösen Übel. Ich nehme an heisst, ich bemerke, ich realisiere, ich erlaube mir hinzuhören und hinzusehen. Und ich erlaube mir, anzunehmen, dass ich ein Individuum bin, dass die eigenen Bedürfnisse nicht immer mit den Bedürfnissen der Gesellschaft gleichsetzen muss. Ich kann und darf, aber ich muss nicht.
Annehmen heisst sich und das Sein zu respektieren. Und es heisst, dass ich meinem Gegenüber nicht wünsche, dass es bald besser wird. Sondern dass ich zuhöre, wenn Bedarf an Gesprächen da ist. Dass ich mitfühle, wenn Emotionen geteilt werden möchten. Dass ich unterstütze, wenn Halt gefragt ist. Und ich frage nicht für wie lange, ich bin einfach da, so lange es eben braucht. Sei es für mich selber oder für andere.
Gedanken über Zeithaben.
Wer ist mamalltag?
Sehr sehr schön.