In den letzten Monaten habe ich einige Bücher gelesen, die in mir etwas bewirkt haben. Die mich bewegt und berührt haben. Die mich der Lebensansicht schulten. Mir andere, wichtige Blickwinkel zeigten. Sie haben mich nicht rudimentär verändert – das wäre masslos übertrieben. Aber sie haben mich sanft in die eine und auch andere Richtung schauen lassen. Und müsste ich in einem Satz sagen, welche Erkenntnis ich lernte, es wäre: ich habe Zeit für dich.
Ich habe Zeit für dich. Denn wie schnell sich ein Lebensmoment auch drehen mag, ich habe immer Zeit für dich. Du misst meine Zeit für dich nicht in Minuten oder Stunden. Du, liebes Kind, misst die Zeit in meiner wahrhaftigen Aufmerksamkeit. Das kann sein, indem ich dich frage, wie es dir gerade geht, liebes Kind. Und ich dir dann aufrichtig zuhöre. Dich aussprechen lasse, Interesse zeige. Oder indem ich deinen Erzählungen achtsam lausche, auch wenn ich bereits ahne, was du mir erzählen willst. Indem ich nichts, aber auch gar nichts parallel erledige, sondern ganz bei dir bin. Mit meiner ganzen Konzentration.
Ich habe Zeit für dich, selbst wenn ich keine Zeit habe. Dann nehme ich mir die Zeit, dir zu erklären, was gerade alles noch auf dem Tagesplan steht. Dann bitte ich dich um Mithilfe oder um deine Begleitung. Lass uns die wenige Zeit, die ein vollgepackter Tag bietet so gut wie es geht nutzen. Lass uns zusammen Dinge erledigen und während dessen reden, still sein, Musik hören, singen.
Und dann lass uns ganz bewusst Tage einplanen, an denen die Zeit einfach sein darf. An denen wir uns dem schnellen Tempo entziehen, weil wir uns einbilden, dies und das und jenes sei wichtig. Diese Einbildung ist ein Erwachsenenthema. Kein Kinderthema. Kinder können losgelöst im hier und jetzt sein. Wir aber, wir sind selten im hier und jetzt. Wir sind immer ein, zwei oder mehr Schritte voraus. Und diese Art lässt uns unaufmerksam werden. Wir hören nicht mehr zu, wir lauschen nicht. Und wir nehmen nicht mehr wahr. Wir haben einfach keine Zeit dafür.
„Ja, ich spiele ein Spiel mit dir, aber nur noch zehn Minuten. Ja, wir können noch kurz zusammen malen, aber nur noch kurz. Eine Geschichte erzählen? Eigentlich müssen wir los, aber ja, ich kann noch eine erzählen. Aber nur eine kurze.“
Sind wir uns bewusst, dass wir unseren Kindern dadurch ganz klar signalisieren: ich habe keine Zeit für dich. Keine Zeit. Für dich.
Als ich bemerkte, dass ich ab und zu in diese Art des Seins verfalle, wurde ich traurig. Traurig meinetwegen, traurig deinetwegen, liebes Kind. Denn wenn ich ehrlich bin, dann weiss ich doch, was du dir am meisten wünschst. Es ist meine Aufmerksamkeit. Es ist meine Freude, wenn ich bei dir sein kann. Es ist das Beisammensein. Und auch wenn es keine Stunde ist. Es soll einfach sein. Mit tiefster Konzentration und Aufrichtigkeit. Ich und du.
Und so richte ich meinen Blick nun ganz bewusst auf diesen Satz: ich habe Zeit für dich. Ich habe Zeit für dich, liebes Kind. Liebe Freundin. Lieber Partner, liebe Partnerin. Ich habe Zeit für dich, liebes „ich“. Ich verweigere mich der Ansicht, dass wir nie Zeit haben. Ich verweigere mich der steten Produktivität und dem Streben nach Perfektionismus. Denn wenn ich keine Zeit mehr habe, dann bleibt eines auf der Strecke, dass ich, wenn es weg ist, nur schwierig wieder zurückholen kann: die Liebe.
Es ist so. Und glaubt nicht, dass das nun kitschig sei. Denn wenn ich etwas nicht habe, dann ist es eine romantische Ader im klassischen Sinne. Kerzen, Rosen, Schaumbäder und nebenan ein Balladensingender Gitarren-Schönling – igitt, nein Danke (keine Sorge, mein Mann weiss um das nicht-vorhanden-sein-dieser-Ader). Die Liebe. Ich brauche sie. Wir brauchen sie. Wir alle. Und wenn wir sie nicht mit Aufmerksamkeit beschenken, dann wird sie nicht überleben. Liebe wächst nicht einfach so, wir wissen das. Aber wir haben keine Zeit. Keine Zeit für uns, für einander. Für die Liebe.
Und so nehme ich sie mir. Die Zeit. Ich nehme sie mir ,wann immer ich mich daran erinnere. Für dich, mein liebes Kind. Für dich, meine liebe Freundin. Für dich, mein lieber Partner. Für dich, meine liebe Schwester. Für dich, Mama, für dich, Papa.
Und dann, ja dann vergesse ich es zwischendurch im Trubel des Alltags. Ich vergesse es, was dazugehört. Aber wenn ich mich dann wieder erinnere, dann hole ich sie sofort hervor. Die Zeit. Meine Zeit für dich. Und dann ist sie da, in voller Aufmerksamkeit und in voller Liebe.
Wunderschön geschrieben Fio ?
Und das Wichtigste: DU hast ja so Recht!!!!!
Danke meine Liebe ?
Wie war…
Du triffst es wieder mal genau auf den Punkt ?