Projekte des Alltags – oder das Verblassen guter Ideen

Vorweg möchte ich schon einmal erwähnen: Was bin ich froh, dass es Februar ist. Der Januar konnte mich mal. Nein, er kann mich mal – immer noch. Ich spiele die Nachtragende, denn er war wirklich nicht nett zu mir. Ich mache mir normalerweise keine Monate zum Feinden. Aber für diesen Januar mache ich eine Ausnahme. Denn was hatte ich nicht alles vor. Projekte. Ideen. Kreativität. Elan. Aber diese Projekte des Alltags, sie verblassten dahin. Kaum in Gedanken entstanden quasi vom Winde verweht. Adieu mes chers.

Projekte des Alltags
Aussicht von oben auf „mich“.

Und ich sollte wohl sagen, dass das Wort „Projekte“ vielleicht schon zu schwülstig übertrieben daherkommt. Deswegen noch der Nachtrag des Alltages. Meine Projekte des Alltags. Von Kleinigkeiten bis mittelgrosse Ideen, die ich gerne umgesetzt hätte, war alles dabei. Und die Umsetzungsrate beträgt unter 2%. Auf den gesamten Monat bezogen. Monat Januar. Monat #dukannstmichmal .

Da begann das Jahr und hatte noch keine drei Tage auf dem Buckel. Ich hatte auch nichts auf dem Buckel, aber etwas zwischen den Schenkeln. Ein Kind mit Skiern. Und ich auch auf auf Skier. Neben mir mein Mann mit Kind zwei zwischen den Beinen. Und vor uns eine lange, steile Piste. Wir haben wohl den einen oder anderen amüsiert. In einem solchen Fall ist Prio eins: lass dein Kind nicht los und den Hang hinunter brettern. Das Resultat wäre nicht erfreulich. Prio zwei: brettert auch nicht zu zweit den Hang hinunter. Das Resultat wäre nicht erfreulich. Kurz hatte ich in Gedanken den Rettungsdienst angerufen, natürlich im Wissen, dass das ein hausgemachter Witz ist. Rettungsdienst war also keine Lösung. Hiess also für mich und meinen Mann: Stemmbögelen im Dauerkraftakt. Gefühlte 20 Kilometer in Kauer-Naturklo-Haltung rutschen wir die Piste runter. Irgendwo dazwischen fuhr für einen Moment mein Ski gen Osten, das Knie gen Westen. Aber da immer noch Prio eins und zwei im Vordergrund standen, schickte ich den Schmerz in die Wüste. Er kam dann zurück, als wir alle glücklich aber erschöpft im Auto verstaut sassen.

Das Sozialleben mal kurz abgesagt.

Mit einem Teilabriss der Fusshebersehne sagte ich mehrmals meinen lieben Jogging-Kolleginnen ab und verschob liebgewonnene Trainingseinheiten ein ums andere mal, weil das Bein konsequente Ruhe brauchte. Kein Sport, keine Freundinnen sehen – das hebt meine Stimmung eher nicht. Selbst spazieren ging nicht und das machte mich gleich doppelt wütend. Aber was soll’s. Ich konnte es nicht ändern.

Kurz darauf folgte ein Finger-Disaster. Wer ja bereits das Bein futsch hat, kann ja gleich noch den Finger hergeben. Das Heben einer Glasschale, welche unter dem Druck meines Griffes nachliess und mich mit der Wucht des Trägheitsprinzipes auf die Schnittstelle fallen liess rundete den nächsten Arztbesuch ab. Zuerst war ich noch guter Dinge, die Sauerei alleine verbinden zu können, als ich das Ausmass deutlicher sah wurde mir schwarz vor Augen und meine Superhälfte legte mich auf den Boden des Badezimmers. Ich weiss nicht mehr für wie lange, aber irgendwann stand ich auf und dachte mir: ab in die Schule, hopp hopp, ich habe keine Zeit rumzuliegen. Dank der verletzten Fusshebersehne lagen nämlich schon einige Alltagsprojekte flach und mussten verschoben werden. Ich konnte jetzt nicht wegen einer Schnittverletzung noch weitere Dinge aufschieben.

In der Schule angekommen wurde ich herzensgut umhegt und mein Finger von meinem eigenen eher notbedürftigen Verband befreit und einigermassen fachgerecht verbunden. Ich setzte mich also guter Dinge in den Unterricht und lauschte dem Thema „Infektionslehre“. Na toll: INFEKTIONSLEHRE. Wir hätten auch gleich slow-motion-clips von Schnittverletzungen mit nachfolgenden Wundbrand Infektionen angucken können. Mein Kreislauf dankte es mir mit Halbohnmachtszuständen. Es nützte nichts, alle waren der Meinung: ab zum Notfall. Gut, ich ging. Beim Notfall waren wiederum alle herzlichst freundlich und die Ärztin meinte, sie würde gerne nähen. Nähen? Haut nähen? „Ja, die Wunde klafft, zwar nicht sehr stark, aber wenn ich es so bewege…“ Ja, gut, seien sie still, ich bin bereits zu 50% ohnmächtig, wenn sie weiter sprechen liege ich heute zum zweiten mal in der Horizontalen. Mein Gesichtsausdruck sprach wohl genau das aus, was ich dachte. Die Ärztin meinte, wenn es mir lieber sei, könne sie auch kleben. JA, juhui, kleben, Leim, keine Nadel, nur Leim, wie beim Basteln. Kein Leim? Klebstreifen? JA, das ist sogar noch besser. Klebstreifen tut nie weh und macht keine Sauerei und mich nicht ohnmächtig. Nur zu, kleben sie was das Zeugs hält. Also, bis das Zeugs hält.

Mit geklebtem Finger gings zurück an die Schule, wo das Thema Infektionslehre den ganzen Tag nicht mehr zu meinem Freund wurde. Froh das Feierabend war, merkte ich, wie unbeholfen ich zuhause im Haushalt und mit den Kinderleins funktionierte. Es war ein zwar tiefer, aber überschaubarer Schnitt im Ringfinger und ich stellte mich an, als hätte man mich vom Hals abwärts bis zum Bauchnabel eingegipst. Was war ich eine #jammertante. Nicht nur, dass alles Ewigkeiten länger dauerte. Abwaschen, Aufräumen, Kochen, und und und. Wie zum Teufel wäscht man einhändig die Haare? Weil nun alles mit Schneckentempo von statten ging, fielen natürlich wieder ein paar Projekte des Alltags durch’s Raster. Sie verblassten dahin und ich winkte „Auf Nimmerwiedersehen“.

Noch heule ich nicht, noch.

Zum Heulen war mir noch nicht zumute, dass sollte erst noch folgen. Aber mir war etwas flau im Magen. Denn ich hinkte den Dingen massiv hinterher. Dies war zu tun, das zu erledigen, jenes zu organisieren. Und ich kam zu nichts. Einfach zu nichts. Die Ideen keimten kurz auf und verschwanden in Windeseile, denn das Anstellen in der Warteschleife hinter all jenen Dingen, die einfach 100% Dringlichkeit aufwiesen, war zu endlos. So entstand aus dem flauen Gefühl im Magen langsam eine kleine aber feine Panik. Oder eher eine leicht panische Vorahnung.

Seit Wochen nun schon kein Sport mehr – und ich hielt mich penibel dran, denn der nächste Team-Marathon ist bereits angemeldet und ich werde meinen Teil dazu beitragen, das hatte ich mir gross hinter die Ohren geschrieben – war mein seelisches Gleichgewicht nicht unbedingt ausbalanciert. Vor mir stand nun ein verlängertes Wochenende nur für mich. Meine bessere Superhälfte, Fräulein Flunker und klein Napoleon fuhren zum Skifahren mit den Grosseltern, während ich zu Hause blieb, da die Schule rief und ich dringend beim Lernen für die Medizinprüfung einen Zahn zulegen musste. Die Laune stieg ein wenig weil ich wusste: ich werd die Rasselbande vermissen, aber mal so das Haus für mich ist ja auch ganz schön.

Es wäre nicht der Januar, hätte er nicht noch was für mich übrig gehabt. Wie bei einem schlechten Friseur, wenn man dir nebst der Dauerwelle noch die Kupferroten Strähnen empfiehlt und dich zum Schluss noch für das „Rundum-Verschönerungs-Make-up“ überredet. Du guckst am Schluss in den Spiegel und dass dir beim Anblick deines neuen Ich’s nicht das Frühstücksei wieder hoch kommt grenzt nur an Anstand.

So dachte mein Januar also: Ach liebe Frau Springhetti, zu dem fast verheilenden Fusshebersehen-Disaster und dem dazu passend geklebten Fingerschnitt – wie wäre es da mit einer Wochenlangen Grippe? Zuerst ein bisschen viral und dann bakteriell? Ich glaube das würde Ihnen stehen. Ich hätte da ein Sonderangebot. Merci, vielen Dank, grazie – ich nehme alles was du für mich hast, lieber Januar. Du dummer, blöder Januar – ehrlich jetzt. Was bist du für ein gehässig, gemeiner Geselle. #grrrrrrrrrrrr

Ja und so kam es, dass ich nach Tagen ausbleibender Haarwäsche, dem ewigen Rumliegen, dem energie- und ruhelosen Dösen und einem sich türmenden Berg von verrotzten Taschentüchern neben meiner Bettseite meinen Mann anrief. Es war wohl mein Tiefpunkt. Denn ich rief ihn an und fing an zu schluchzen: “ Schatz, ich kann das nicht mehr. Ich will kein Studium mehr, ich will nicht arbeiten. Ich will keine weitere Ausbildung durchmachen und ewigs das Betreuungssystem aufrecht erhalten. Ich kann nicht mehr, es ist einfach zu viel. Buhuhuuuuuuuuuu, *rotz*, *heul*, *rotz*, *schneuz*.“ Meine Superhälfte sagte zuerst nur: „Ach, ich verstehe dich. Aber weisst du….“ Und ich schnitt ihm in’s Wort: „Nein wirklich, es ist grausam, schrecklich, ich kann nicht mehr. Ich rieche wie ein totes Meerschweinchen und sehe aus wie eine Leuchtpylone. Ich will das nicht!“ Und der Rotz lief erneut und das Schluchzen wurde fast schon spastisch. Wie ein Häufchen Elend sass ich da auf dem Sofa und verlor komplett die Fassung. „Bist du sicher, dass jetzt der richtige…“, meinte mein Mann. „Buhuhuuuuuuuuuu, neeeeeeeein, ich weisssssssssssssssssszzzzzzzzzzz“, schluchzte ich, putzte mir die Nase, denn das Kleinkindalter mit Rotz im Mund, der scheinbar wohlschmeckend ist hab ich hinter mir gelassen. „Ich weiss, ich muss nur gerade heulen und das los werden. Natürlich will ich das alles. Ich will das Studium, ich will die Arbeit, ich will das Mama-sein, die Familie, das Aupair. Ich will das alles. Es ist nur gerade so viel, so unglaublich viel, buhuhuuuuuuuuu…“

Und so ging dieses Telefonat über zwanzig Minuten. Zwanzig Minuten herzensguter Zuhörerei seitens meiner Superhälfte. Ohne Besserwisserei, ohne Ratschläge, ohne Zurechtweisung. Er hörte einfach zu. Er hörte zu als ich heulend sagte, dass ich kein’s meiner Projekte beenden konnte. Dass alles was nicht vordergründlich von Nöten war einfach liegen blieb. Dass ich unzufrieden mit dem Verblassen der Ideen bin, dass ich gerade einfach nur frustriert bin weil ich, es, das, nicht so läuft wie ich es will.

Fazit: nach dem Heulen war mein Herz erleichtert.

Bilanz: 1,5 Pack vollgerotzter Taschentücher, zwei aufgequollene, rote Augen, ein vom Schluchzen geschwollener Hals und ein erleichtertes Herz mit einer befreiten Seele. Ich konnte meinen Frust hinaus schluchzen, konnte meinem Ärger Raum geben, der Wut Wörter verleihen. Und ich hatte einen Zuhörer. Einer der nicht sagte, er wisse es besser und ich solle doch nicht so. Nein, ich hatte einen Zuhörer der spürte, dass ich Wörter nur dazu benutzte um den Emotionen die Kanäle zu geben, um aus meinem Herzen und meiner Seele zu entkommen. Damit ich sie nicht länger wegsperrte. Damit ich sie nicht länger für nichtig hielt.

Ja der Frust betraf vor allem meine Alltagsprojekte. Aber auch die haben ihre Berechtigung. Es sind nicht nur immer die grossen Pläne, die man schmiedet und die man dann mit viel Frust betrauert wenn sie nicht zustande kommen. Es sind vor allem auch die kleinen Dinge, die in der Summe ein Gefühl des Scheiterns auslösen können.

Und so sitze ich hier, und der Frust könnte gross sein, denn erst vor ein paar Stunden kam ich wieder einmal mehr vom Arzt zurück und erfuhr, dass die Entzündung nun zu hoch angestiegen sei, als dass wir noch pflanzlich reagieren können. Antibiotika ist angesagt. Aber der Frust kommt nicht, denn ich habe meinem Herzen Platz gemacht für neue Emotionen. Ich konnte mich ausheulen und durfte Wertschätzung in meinem Zuhörer erfahren. Noch immer hinke ich den Projekten hinterher. Weder genug ist gelernt, noch sind alle Sachen erledigt, ja sogar einen Agenda Termin hab ich letztens vergessen – keinen tragischen zum Glück. Aber so ist das Leben eben. Es läuft nicht immer rund. Im Vergleich zu anderen Menschen mit tiefsitzenden Schicksalen läuft es sogar sehr rund, das bin ich mir bewusst. Und trotzdem musste ich weinen, musste ich Frust ablassen, musste ich Rotz und Wasser heulen. Und das darf sein. Vor allem, wenn das Gegenüber so verständnisvoll zuhört. Denn was gibt es wertvolleres als verstanden zu werden. Es mindert den Schmerz. Es mindert den Frust.

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