Manchmal habe ich Angst

Jetzt ist er hier, dieser Moment. Der Moment in dem sich unsere Familie neu organisieren muss. Eigentlich ein schöner Moment, etwas auf das wir uns freuen. Eigentlich ein Moment der vor uns schon zig Familien genau so erlebt haben. Eigentlich ein Moment der sich wohl später rückblickend irgendwo in die Erinnerungen einordnet und kaum als „schwierig“, „speziell“ oder „turbulent“ empfunden wird. Ein ganz normaler Alltagsmoment, aber irgendwie bin ich leicht nervös. Habe ein wenig Angst. Hallo Kindergarten, herzlich Willkommen in unserer Familie, du machst mich ein wenig nervös. Ein wenig ängstlich.

Angst

Ja ja, ich weiss. Kindergarten. Pipifax. Da warten noch ganz andere Brocken auf mich: Pubertät, Aufklärung, erste Liebesbeziehung, zweite Liebesbeziehung, dritte Liebesbeziehung… zehnte Liebesbeziehung. Oberstufenübertritt, Autoprüfung, erste eigene Wohnung, fünfzehnte Liebesbeziehung und so weiter und so fort. In die Zukunft schauend kann ich mir schon denken, dass der Kindergarteneintritt nicht wirklich so wahnsinnig einschneidend sein kann. Aber im Jetzt lebend ist er es eben doch.

Und jetzt dürft ihr mich nicht falsch verstehen: es ist nicht der Kindergarten an sich, der mich nervös macht. Es ist das Drumherum. Denn gleichzeitig wie Fräulein Flunker den Eintritt in den zweiten Kindergarten machen darf (den ersten haben wir ja für unsere Neuseelandreise ausgelassen), so darf ich nächste Woche mein Studium zur Naturheilpraktikerin beginnen. Toll, ja, ich freue mich wahnsinnig. Wirklich. Aber das macht das ganze Organisieren nicht gerade einfacher.

Für die nächsten sechs Jahre konzentriere ich mich auf die Ausbildung zur Naturheilpraktikerin in Zürich und die ersten vier Jahre davon bin ich jeweils zwei Tage die Woche im Studium. Juhu, ich-Tage. Ich alleine in Zürich. ALLEINE. Und wie einige von euch wissen, ist mein Traumberuf ja eigentlich „Student/Schüler“. Was liebe ich es in der Schule zu sitzen und wie ein Schwamm neues Wissen aufzusaugen. Ein kleines Streberlein bin ich, ja. Und zwar mit Herzblut. Hui.

Aber weil ich ja nicht hauptberuflich Student bin, sondern – in welcher Reihenfolge nun auch immer – noch Mama, Ernährungsberaterin, Redaktionsmitglied und Mensch bin, gibt das ein wenig was zu organisieren. Und auch wenn mich organisieren glücklich macht, so macht es mich eben auch ein wenig nervös. Denn ich muss Kontrolle abgeben, mich auf andere verlassen können, vertrauen, dass es auch ohne mich läuft. Und das ist schwieriger als ich gemeint habe.

Nicht weil ich mir anmasse zu meinen, ich sei die beste Besetzung für die zu spielenden Rollen. Nein, das habe ich noch nie gedacht und das werde ich auch nie denken. Aber ich merke, dass ich Schwierigkeiten habe loszulassen und zu vertrauen. Ich habe Angst, dass ich fallen gelassen werde. Dass sich jemand anders entscheidet und mich dann trotzdem nicht unterstützen will. Das ist mir in meiner Vergangenheit hie und da mal passiert und so habe ich mir wohl selber anerzogen, alles lieber selber zu erledigen, dann kann ich nicht enttäuscht werden.

Einige von euch haben meine Geschichte gelesen. Nicht wegen dem , aber sicherlich auch deswegen, habe ich gelernt, dass ich mich in akuten Phasen am besten auf mich selber verlasse. Angst, Verlust, Enttäuschung und Misstrauen kann ich so umgehen. Ich meine es zumindest oder rede es mir ein. Ich halte alle Fäden in der Hand und weiss, wann ich wo ziehen muss, wann wo nachgeben, wann wo ersetzen. Wie ein Strassenmusiker, der die Gitarre in der Hand, die Mundharmonika daran angeklemmt, das Schellen-Tamburin am Fuss hat. Eine one-man-band. Ich bin eine ein-frau-band. Und ich beherrsche es sehr gut.

Jetzt aber kommen zu viele Instrumente. Ich probiere es gar nicht, sie alle allein zu spielen. Ich weiss, dass ich es nicht kann. So sehr ich mich anstrengen würde. Es wäre keine Harmonie. Es würde nicht funktionieren. Aber ich bin ehrlich zu euch. Ich WÜNSCHTE ich könnte es. Sie alle alleine zu spielen. Es fällt mir so unglaublich schwer, mich auf andere zu verlassen. So unglaublich schwer. Und nicht weil ich denke, sie können es nicht. Nein. Ich hab Angst, fallen gelassen zu werden. Ich habe Angst. Einfach Angst.

Und jetzt schreibe ich diese Zeilen, und ja, ich weine dabei. Und ja ich sitze in einem Café und Leute sehen mich. Aber so ist das nun mal mit Ängsten. Sie sind oft tiefgreifend und unkontrollierbar. Ich weine weil ich mich fürchte, dass das Orchester, dass ich organisiert habe, auseinander fällt. Dass meine Bandmitglieder besseres zu tun haben, als mit mir zu spielen. Dass ihnen meine Musik nicht gefällt. Dass ich ihnen nicht gefalle. Und dann stehe ich wieder alleine da. Alleine mit viel zu vielen Instrumenten und ich kann sie alle zusammen nicht spielen.

Das Loslassen, das muss ich lernen. Wohl als allererstes das Loslassen dieser Angst, verletzt und verlassen zu werden. Eine Lebensaufgabe die, wenn ich sie jetzt nicht löse, immer wieder kommt. Das weiss ich. Aber sind wir ehrlich: wissen wir nicht oft vieles und können es trotzdem nicht umsetzen? Ich weiss. Ich weiss. Ich weiss. Aber ich kann nicht. Kann nicht. Kann nicht.

Und jetzt kommt da dieser Kindergarten, der an und für sich einfach nur wunderbar ist. Denn Fräulein Flunker freut sich wie ein Schneekönig endlich in den Kindergarten zu gehen. Und mit ihm kommt mein Studium. Und mit ihm kommt die Kinderbetreuung. Die externe. Und das Organisieren der Ferien. Und das Dasein für Napoleon, der ganz genau spürt, dass das Familiengefüge gerade ein wenig am Rochieren ist. Und mit all dem kommt der Wunsch, dass sich die Angst legen darf. Denn ich habe alles organisiert. Eigentlich. Denn lässt sich das Leben überhaupt organisieren?

Jein. Teilweise. Ja, ich weiss, ihr erkennt es schon. Eure Fiorina wünscht sich, es wäre alles organisierbar. Schublade hier, Schublade da. Aber das geht nicht. Das weiss sogar ich. Und trotzdem wünschte ich es mir manchmal. Vor allem dann, wenn die Tränen kommen weil die Angst so gross ist. Unbegründet? Unbegründet! Hoffe ich. Das Leben ist zum Leben da. Absolut. Aber seit nun fünfeinhalb Jahren habe ich eine zusätzliche Verantwortung übernommen, die mir mehr bedeutet als alles andere auf der Welt. Fräulein Flunker und Napoleon verlassen sich auf mich. Und ich fordere von mir, dass sie spüren, dass sie sich tatsächlich zu hundert Prozent auf mich verlassen dürfen. Wäre ich alleine, wäre die Angst weniger präsent. Sie wäre nicht NICHT da. Aber sie wäre subtiler. Jetzt ist sie gross. Manchmal ZU gross. Nämlich dann, wenn ich mich frage: meine Kinder verlassen sich auf mich. Auf wen verlasse ich mich?

 

 

9 Gedanken zu „Manchmal habe ich Angst

  1. Fabienne sagt:

    Du kannst dich auf dich verlassen, du bist der Leuchtturm, der Damm, die Festung! Das ist manchmal Schwerstarbeit….aber irgendwann kommt wieder Sonnenschein! Viel Kraft und guten Mut!

    • mamalltag sagt:

      Danke dir liebe Fabienne, für deine Worte und für dein Mitgefühl. Empathie ist es, die uns das Gefühl gibt, trotz Zeiten des Zweifelns auf dem richtigen Weg zu sein. Merci.

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