Das Grosswerden und seine Tücken

Das Grosswerden muss anstrengend sein. Ich kann mich nicht mehr erinnern, um ehrlich zu sein. Aber ich kann mir das Dilemma, dass meine „Kleinen“ durchmachen im „Grösser-werden-Prozess“, nicht als freiwillig erfunden erklären. Da muss ganz viel Frust, viel Zorn, viel Unsicherheit und viel Angst mit im Spiel sein. Oder warum soll mich Napoleon freiwillig alle 40 Minuten anbrüllen und Fräulein Flunker im Viertel-Tages-Takt schmollend die Lippen schürzen, weil wir anscheinend nur machen was Mama sagt. Das Grosswerden und seine Tücken. Es wird wohl wahr sein.

Grosswerden

Mama weiss das, Mama weiss dies. Sie entscheidet was gekocht wird, sagt was in den Einkaufskorb kommt, regiert über die tägliche Zuckerregulation und ist Herrscherin über den Kühlschrank und die Anzahl Klopapierblätter je nach Produkt in der Schüssel- das kann frusten, ja! Aber sind wir doch mal ehrlich: Freiheit für alle funktioniert nicht. Nein ehrlich, ich sehe es vor meinem inneren Auge: totale Anarchie! Also stürzt man sich in die Aufgabe des seiltanzenden Artisten im Wissen, früher oder später fällt man runter und das Publikum schimpft: selber schuld. Und dann badet man im Selbstmitleid, weil man es doch allen recht machen will und selber zu nichts kommt. Ist dem denn so? Oft wohl schon. Laut Fräulein Flunker sage ich immer „nein“. IMMER. Ah ja, Fräulein Flunker muss auch immer machen was ICH will: Spielplatz, Velofahren, Kneten, Puzzles – alles Mamas Lieblingsbeschäftigungen, ich krieg davon einfach nie genug (#sarkasmuskommtimalltagzukurz). Napoleon unterstellt mir zu lügen, es stimme nicht, dass er soeben bereits 32 Schüsslersalze der Nummern 2, 3, 8 und 11 hatte. Es stimme auch nicht, dass ich bereits eine Geschichte erzählt habe. Und nein, er hatte noch keine Nüsse geknabbert, die sind wohl anderweitig verschwunden.

Auf der anderen Seite aber stehe ich und denke: bin ich wirklich so ein Drachen? Sage ich immer nein und verbiete, schimpfe, ermahne, korrigiere? Ja das tue ich, aber wirklich IMMER? Wohl eben auch nicht immer. Ich ertappe mich aber dabei, dass ich kleine Unfälle und Malheure mit einem Eingreifen verhindern kann. Dass ich aus Erfahrung weiss, wie es gerade besser funktionieren könnte oder wie es schneller fertig wäre. Doch ist es das, was ich tun sollte? Hilft das beim Grosswerden? Oder hilft es nur mir, damit die kleinen und grossen Krisen in einem Kinderalltag auf dem Minimum gehalten werden können? Wohl Letzteres. Und das macht mich traurig irgendwie. Denn zeigt es mir doch auf, dass ich eigentlich viele Lernversuche oder Selbstständigkeitsmomente mit meinem erwachsenen Verstand verhindere und unterbinde. Ich verhindere etwas im Voraus, weil ich weiss, dass die Wahrscheinlichkeit, dass es passiert sehr hoch ist – nicht gerade eine Unterstützung an die Freiheit, oder?

Ich gehe wohl zu hart mit mir in’s Gericht. Denn ich kann auch von zahlreichen Momenten erzählen, in denen ich meine kleinen Grossen zum Anziehen, zum Teller ausputzen, zum Zähneputzen, zum Haarekämmen und und und aufgefortert habe und die Antwort dann war: „Mama heeeeeeeeeeelfen“ – und das bei Dingen, die sie hundertprozentig eigenständig tun können. Wir sehen also, da spielen wohl zwei Seiten eine Hauptrolle im Theater „Grosswerden“. Manchmal sind wir Erwachsenen zu „präventiv“ und manchmal sind die Vernunftsentscheide auch einfach notwendig. Das Fordern nach Selbstständigkeit und Freiheit ist wunderbar und sollte gefördert werden, dennoch gibt es täglich Situationen, in welchen es Grenzen braucht und fordert. Diese ambivalente Stimmung ist ohne Frust und ohne Auseinandersetzung wohl kaum zu  durchleben. Zumindest sieht das im Moment bei uns so aus. Die emotionale Verlaufskurve gleich der seismografischen Aufzeichnung eines Erdbebengebietes. Und ich rede von der stinknormalen alltäglichen Verlaufskurve. Das zerrt an allen. An mir, an meiner besseren Superhälfte, an Napoleon und an Fräulein Flunker. Aber zeitgleich kommen dann diese Momente, in welchen wir einfach alle gleicher Meinung sind, uns zeigen können, dass wir uns doch einfach nur lieb und es miteinander gut haben. Und in Momenten wie diesen tanke ich dann meine Ladung Energie auf. Die Energie für das nächste Erdbeben, den nächsten Kampf, die nächste Enttäuschung, den nächsten Frust. Ganz normal eben. Der normale Alltag. Die Tücken des Grosswerdens und Grosswerden Lassen.

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