Die Bärenmama – oder wie ich versuche, unberührt zu bleiben.

Ich bin mit meinen beiden Kinderleins auf dem Spielplatz und wir geniessen einen wunderbar herbstlichen Nachmittag an der frischen Luft. Es wird geschaukelt, gerutscht, mit Sand gespielt, auf den Holzpferden galoppiert. Mal stehen viele Kinder an bei den Schaukeln, mal weniger, mal hat’s ein bisschen Engpass auf der Rutsche, mal nicht. Wie das halt so läuft auf dem Spielplatz.

Bärenmama

Jede Mama und jeder Papa kennt das, wo viele Kinder sind gibt’s auch mal Knatsch. So kommt es fast jedesmal vor, dass die eine meiner Fräuleins findet, mir Bescheid geben zu müssen, dass dieses oder jenes Kind vorgedrängelt oder etwas grob geschubst hat. „Ja Schatz, weißt du, du musst du das selber regeln, tu doch dem anderen Kind sagen, dass das nicht so lieb war oder ignorier die Situation einfach. Du hast sicherlich auch schon mal geschubst oder vorgedrängelt.“

Politisch soooooo was von oberkorrekt und didaktisch ganz wichtig: schliesslich kann man ja nicht mir nichts dir nichts beim ersten Pieps Partei für die Sprösslinge einnehmen und die gesamte Umwelt für das gefühlte Kindselend verantwortlich machen. Also man kann schon, es gibt da das eine oder andere wandelnde Elternbeispiel, aber die sind oft mässig beliebt – sorry, is’ so.

Ich versuche also unberührt zu bleiben. Frust, Unfairness, Ungerechtigkeit, Zankereien – Kinder müssen sich selber damit auseinandersetzen, müssen Wege finden, wie sie mit solchen Situationen umgehen können. Das kann mal zu Tränen führen, mal zu Traurigkeit oder auch mal zu richtig viel Kummer. Aber solche Erfahrungen gehören mit zum Leben, sie bleiben dem Erwachsenenalter genauso wenig erspart wie dem Kinderalter. Aber eben, da gibt es manchmal so schwammige, nicht definierbare Momente. Momente in denen genau die vorhin beschriebene Haltung meinerseits sich in Luft auflöst. Die politische Korrektheit verschwundibust und die Bärenmama in mir erwacht. Das geschah an dem Nachmittag auf dem Spielplatz…

… es lief lange, wie’s eben so läuft auf dem Spielplatz. Bis meine Kleinere sich in den Sandkasten setzte, und mit dem herumliegenden, der Öffentlichkeit gehörenden Eimer und Schaufel einen Kuchen zu backen begann. Da kam ein Junge, selben Alters und wollte ihr zuerst die Schaufel wegnehmen. Meine Kleine motzte und wehrte sich. Das gleiche beim Eimer – sie verteidigte ihre momentanen Spielsachen. Ich sah es, die andere Mama sah es. Niemand tat was, gut so, denn das gehört genau zum Bereich „unberührt bleiben“. Die Auseinandersetzung legte sich etwas, bis der kleine Junge erneut dachte, dass da was zu machen wäre. Diesmal war er stärker und schnappte sich den Eimer. Fräulein wurde sauer, beschwerte sich und versuchte sich, den Eimer zurückzuholen. Dann geschah es. Das „ich-kann-nicht-mehr-einfach-nur-weg-sehen“. Mit voller Wucht krallte der Junge meiner Madame mitten in’s Gesicht und zerrte daran. Von den zehn Fingern hinterliessen sieben offene Kratzwunden und Madame stolperte mit viel „Aua“ im Gesicht und lauten Geheul zu mir. Ich war etwas perplex und guckte zur anderen Mama. Nichts. Nichts! Ich sah es, die andere Mama sah es. NICHTS! Ich versuchte es mit einem lautstarken: „Ach Schatz, das hat der Junge sicherlich nicht extra gewollt?!?“ Die Mama hörte es. Nichts! Mir blieb die Spucke weg.

Dahin war meine politische Korrektheit und wäre ich nicht gestandene dreiunddreissig Jahre alt, ich hätte am liebsten die Schaufel genommen und… okay, ich lass das jetzt unausgesprochen. Vielleicht hilft Anstarren, dachte ich mir. Also starrte ich die andere Mama an. Vielleicht starrte ich sogar à la „wenn Blicke töten können“ (meine bessere Superhälfte sagt, ich könne TATSÄCHLICH mit meinen Blicken töten!). Aber auch das rührte die Dame zu keinerlei Reaktion. Die Bärenmama in mir war längst weit davon entfernt, das Ganze noch easy und unberührt zu empfinden. Ich war sprichwörtlich super beleidigt und angepieselt. Kurz davor, zu der anderen Mama hinzustampfen und ihr ordentlich die Meinung zu geigen, zählte ich innerlich von zehn rückwärts auf null und beamte mich in Gedanken nach Hawaii (oder war es Koh Samui? Wurst, ich beamte mich in’s Palmenparadies). Mein Temperament beruhigte sich und ich gestand mir ein, dass eine offene Konfliktsituation jetzt keine Lösung war. Die Kratzer waren bereits im Gesicht, das „Aua“ bald überstanden, der Frust beim Kindchen schon fast wieder vergessen und nur noch die beleidigte Mama-Leberwurst war leicht am köcheln.

So fegte ich die imaginäre Leberwurst weg, schnaufte einmal tief durch und schickte die Bärenmama wieder in ihre Höhle zurück. Noch ein letztes Mal à la „wenn Blicke töten können“ die andere Mama anstarren und gegessen war’s für mich.

So lange, bis es bei einem nächsten Mal wieder passiert: dieser Moment wo die innere Bärenmama rauskommt, weil etwas nun einfach wirklich unfair, gemein und fies ist. Wo man als Mama und Papa einfach nicht mehr unberührt bleiben kann. Wo man Partei ergreift, sich einmischt, mitstreitet. Eigentlich total unerwachsen. Aber eben irgendwie menschlich. Auch wenn ich von Herzen fest für das „unberührt bleiben“ plädiere, so finde ich, darf ab und zu auch die Bärenmama und der Bärenpapa aufkreuzen. Wenn sie wissen, wo der Weg zurück in die Höhle ist, ist das ganz legitim…

Ein Gedanke zu „Die Bärenmama – oder wie ich versuche, unberührt zu bleiben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.